With Thinking Fingers

Adah Strand Sutherland hat der Biographie über ihren Mann den Titel "With Thinking Fingers" gegeben. Möglicherweise bezieht sie sich dabei auf einen Aufsatz Sutherlands, den er bereits 1914 geschrieben hatte und der immer und immer wieder zitiert wurde, dies auch in der Zeitschrift "Der osteopathische Arzt".

Los, berühre! Das Verbot "Nicht berühren!" gilt nicht für den Osteopathen.
Denn Gott gab ihm die Werkzeuge, die Hände, mit denen er fühlen kann.
Lass ihn also berühren! Und verbiete ihm das berühren nicht!
Aber lehre ihn zuerst die Kunst des Berührens!
Die berufliche Aufgabe des Osteopathen ist zur Hauptsache eine Aufgabe der Finger:
Das Lokalisieren der ethologischen Faktoren in und hinter den Körpergeweben ist so subtil, wie das Auffinden der sprichwörtlichen "Nadel im Heuhaufen" und verlangt sozusagen Hände mit Hirnzellen in den Fingerspitzen. Es verlangt Finger, die fähig sind zu fühlen, zu denken und zu sehen.
Deshalb lehre den Osteopathen zuerst, mit seinen Fingern fühlen, denken und sehen!
Und dann erst erlaube ihm die Berührung!
Seine Finger sollen lernen, die Empfindungszeichen, welche in allen Geweben entlang des Rückenmarks aufgespürt werden können, zu entziffern: Die diagnostische Botschaft kann nur auf dem Weg des "Fingerfühlens", des "Fingerdenkens" und des "Fingersehens" gelesen werden.
Die Finger des Osteopathen sollten wie Detektive sein, nämlich gewandt in der Kunst Verstecktes aufzuspüren. Das Auf- und Ab-, das Hin- und Herstreicheln allein kann nicht "in Kontakt kommen" mit den verborgenen Dingen bedeuten: Der Zufallstreffer ist nicht die richtige osteopathische Anwendung des taktilen Sinns.
Die Finger des Osteopathen sollten hin und wieder Pause machen und tief eindringen in die wichtigen, tiefer liegenden Dinge. Der Aufenthalt von einigen Tagen in einer Stadt erlaubt das Kennenlernen der Bewohner besser als eine schnelle Durchreise.
So verhält es sich auch mit dem Tastsinn. Die Finger sollten an Gelenken, an Bändern und Muskeln, hier und dort sanft innehalten, etwas warten, in die Tiefe gehen und dadurch mit den "Bewohnern" der "Stadt" Bekanntschaft machen. Die "Bewohner" des Rückens wollen den Fingern nämlich viele wichtige Dinge erzählen. Die Finger sollen aber nicht nur während der Diagnose fühlen, sondern auch in der Behandlung. Es ist deshalb nötig, dass die Finger während der ganzen Behandlung immer bereit und aufmerksam sind und ihrem Gefühl, ihren Gedanken und ihrer Sichtweise folgen. Die osteopathische Technik ist bestimmt durch die intelligente Anwendung eines sensiblen, gut entwickelten Tastsinns. Sie kann nicht durch Beobachtung mit den Augen erlernt werden; denn die Augen haben nichts mit dem Tastsinn zu tun. Es braucht ein "Fingergefühl", ein "Fingerdenken" und eine "Fingersicht" um zu merken, wie die Läsion sich bewegt, wann sie sich bewegt und welche Änderung sie danach verursacht. Um diese Kunst zu erlernen, muss man die eigenen Finger neben die Finger des Lehrers legen und diesen dann in ihrer Berührung folgen und zwar in der Art und Weise dieser Berührung.
Die osteopathische Technik beinhaltet, den Tastsinn zu pflegen und diesen in Diagnose und Behandlung intelligent anzuwenden: Erfahre durch das Fühlen! Los und berühre!

Literatur:
Sutherland, WITH THINKING FINGERS,
The Story of William Garner Sutherland, D.O.A publication of the Cranial Academy.

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